Beim Spazieren über die Messe finden sich so manche auf den ersten Blick faszinierende Personen – aber, der der Ausruf „Hier, Mama, schau mal! “ hat uns aufhorchen lassen; so baten wir diese außergewöhnliche Kombination um ein Interview. An unserem Stand, mit frischgezapften Kaffee in der Hand, haben wir unserer Neugier freien Lauf gelassen . .
Wie kommt es, dass ihr zusammen auf der Boundcon seid?
Mutter Karo: Ich bin schon lange in der Szene unterwegs. Letztens habe ich meinen Geburtstag gefeiert und habe meine Freundinnen einladen. Ich habe natürlich Freundinnen zu 50% Prozent in der SM-Szene und zu 50 % in der Vanilla-Welt – und ich bin auch mit meiner Tochter befreundet. Also war klar, dass sie auch mit dazu kommt, zusammen mit ihrer besten Freundin. Die Gespräche auf der Party kamen dann vom einen zum anderen und so kam es, dass wir jetzt alle hier sind . . .
Was ist BDSM für Euch? Welche Rolle spielt es im Leben?
Mutter Karo: Für mich ist es einfach schon immer wichtig gewesen. Schon als kleines Mädchen wusste ich, dass ich anders bin als andere. Ich bin Masochistin mit einer devoten Ader, aber hauptsächlich maso. Ich habe bereits als junges Mädchen Kontakte gehabt, aber ihr müsst euch vorstellen, aus welcher Zeit ich komme. Man durfte damals noch nicht mal homosexuell sein, man war als SMler eine absolute Randgruppe, es waren sehr schwierige Zeiten, SM auszuleben. Ich habe mich dann in einen Stino-Mann verliebt, mit dem ich eine Familie gründen und mein Leben aufbauen wollte. Als junge Frau dachte ich mir, ich könnte meine Neigung einfach ablegen oder verdrängen. Jetzt weiß ich, das geht genau so lange gut, bis die Kinder „aus dem Gröbsten raus sind“ und danach kommt das zurück.
Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, wo man sich all dem wieder stellt - man hat „etwas“ in sich, das raus will. Inzwischen lebe ich es wieder etwas aus, natürlich sehr schonend. Wenn man sich nicht komplett outen will in der Familie, ist das nicht einfach. Meinen geliebten Mann will ich ja auch nicht verlieren und so gehe ich eben sehr schonend vor – ich gehe da meine eigenen Wege, aber ich habe auch eine sehr aufmerksame Tochter . . .
Meine ältere Tochter - sie ist heute nicht hier - weiß schon seit Jahren von meinen Vorlieben, sagte da schon vor Langem zu mir: „Ach Gott, Mama, mach was gut für dich ist und dann ist das doch okay! Hauptsache, der Familie passiert nix.“
Anne dagegen hat schon immer Angst, sie ist eher konservativer eingestellt. Ich merke, gerade junge Frauen haben eine konservative Einstellung, weil sie ja noch ihren Weg finden müssen. Die halten sich an diesen Einstellungen fest, bis sie so frei sind, dass sie ihren eigenen Weg gehen können. Anne ist eine dieser Frauen, gerade deswegen hatte ich immer Angst davor, dass sie etwas herausfinden könnte. Andererseits ist sie aber auch recht neugierig und deswegen war zum Beispiel immer mein Handy mit Code gesperrt, damit sie da nichts herausfinden kann. Am PC habe ich auch immer alle Spuren gelöscht, und zwar nicht wegen meines Mannes lacht
Das ist interessant, normalerweise ist das ein Verhalten von Kindern, das sie gegenüber ihren Eltern haben, wenn sie Angst haben, sie könnten was entdecken . . .
Mutter Karo: Ja, als Eltern will man seine Kinder ja auch beschützen, auch vor Einflüssen, die in unserer Gesellschaft noch nicht angekommen sind – wir sind da einfach noch nicht so weit, dass BDSM okay ist.
Tochter Anne: Deswegen hat Mama mir da auch erst vor einem Jahr Einblick gegeben. Ich muss ehrlich sagen: Hätte ich das vor vier Jahren erfahren, hätte es wohl einen Cut gegeben. Ich kann's euch nicht erklären, warum, aber ich bin mir sicher, es wäre so gekommen. Vor einem Jahr hatte sie mit ihrem SM-Freund Probleme und als Tochter spürt man ja, wenn es rumort. Ich habe dann meine Schwester gefragt und sie gebeten, zu erzählen. Nur, es wollte mir keiner was erzählen, wahrscheinlich auch zu Recht, weil ich manchmal zu krass reagiere. Vor einem Jahr hat sie es aber dann geschafft, mich ins Vertrauen zu ziehen und es hat mich nicht mehr gestört, warum auch immer.
Mein Vater weiß wohl nicht soooo genau Bescheid, was wir wissen – aber so lange es ihm nicht schadet, ist alles in Ordnung. Und: Es schadet meinem Dad nicht, es wäre wohl eher anders herum – es würde meiner Mutter schaden, könnte sie sich nicht ausleben. Und ich habe gemerkt, wenn meine Mama keinen Spielpartner hat, leidet die Beziehung zu meinem Vater drunter. Ich bin ein Papakind und mir ist es wichtig, dass mein Vater glücklich ist – der ist aber nur glücklich, wenn meine Mutter glücklich ist! Deswegen ist es sehr in Ordnung für mich. Der Spielpartner meiner Mama ist heute auch hier, ich schätze ihn sehr und mit ihm kann ich mich auch stundenlang unterhalten, weil er auch einfach cool ist. Ich bin sehr froh, dass meine Mama mir das vor einem Jahr gebeichtet hat, weil wir sonst ja auch ein so offenes Verhältnis haben.
Mutter Karo: Ja, sie ist manchmal auch so offen, dass ICH dann rot werde! Eine solche Offenheit kann man nicht einfordern, sondern man nur geschenkt bekommen.
Für Anne war es sicher nicht leicht, zu begreifen, dass ich nicht monogam bin, sondern polyamor – ich liebe also mehrere Männer, zum Beispiel auch meine verflossenen. Anne hat aber begriffen, dass das für mich gut funktioniert, auch wenn es für sie nicht geht.
Anne, hast du selber einen Bezug zur Szene?
Wenn meine Mama etwas toll findet, MUSS sie davon erzählen ... und so ist es auch hier, wir mussten mit der ganzen BDSM-Sache erst mal einen Weg finden, dass sie mich nicht überflutet, es ist ja alles neu. Aber ich denke mir: Kann ich mir ja mal ansehen, kann ja nichts schaden. Und wenn es mir nicht zusagt, kann ich jederzeit sagen: Das ist nicht meins!
Inzwischen habe ich die Leute aus Mamas Kreisen kennen und schätzen gelernt, wir waren auch zusammen schön im Urlaub – nur mit BDSM selber, da habe ich noch nichts zu tun. Aber heute die Boundcon finde ich sehr interessant, das alles zu sehen und erklärt zu bekommen ist schon spannend.
**Es hilft freilich auch immer, Leute kennen zu lernen und mit ihnen zu sprechen, einen persönlichen Bezug aufzubauen anstatt nur etwas zu lesen oder über Dritte etwas zu erfahren.
Tochter Anne: Ja, genau! Meine Mama kennt auch ein Paar, von denen ich weiß, wie sie spielen und sobald ich selber mit ihnen geredet hatte, wandelte sich das Bild von ihnen total. Man kann sich nett mit ihnen über ganz normale Sachen unterhalten. Es ist schwer in Worte zu fassen, ich kann mit dem Spielpartner meiner Mutter über alles reden, das ist toll!
Mutter Karo: Ich beschäftige mich aus persönlicher Erfahrung damit, ob eine SM-Neigung vererbbar sein könnte: Mein Vater hatte sie auch, nur offen darüber sprechen konnten wir nie. Er wusste von mir, wie ich ticke und ich von ihm ... Als ich dann bei Anne Tendenzen festgestellt habe, dachte ich mir, wenn sie soo lange wartet, bis sie sich auslebt, ist das schade – und wenn es bei ihr anders ist, ist das freilich auch okay. Schauen wir mal.
SM ist schon eine starke Strömung in der Sexualität – aber wo fängt denn SM an? Ich habe mich schon immer gerne sexy gekleidet, aber ausleben in der Richtung kann auch schwer sein – wenn ich in einem Party-Outfit in ein Taxi steige, wurde ich schon gefragt, ob ich denn in die Arbeit fahre ... Die Szene kann man da einfach als Spielwiese sehen, in der man sich ausprobieren und ausleben kann.
Karo, was ist dein Tipp an junge Leute, die sich neu mit dem Thema ausprobieren?
Sucht Euch Real-Kontakte, informiert Euch gut und probiert Euch aus! BDSM ist eine Vertrauenssache und die geht nur mit realen Menschen gut. Junge Menschen würde ich zur SMJG oder eben JungeSMünchen schicken, weil es da einen geschützten Rahmen gibt, in dem man aufgefangen wird. Von dort kann man dann den Weg beschreiten, wohin auch immer der dann hinführt.
Was ist hier auf der Messe für euch interessant?
Tochter Anne: Korsagen jedenfalls ... Und die Manschetten mit Nadeln auf der Innenseite – ganz was anderes, die fand ich spannend. Die anderen Spielzeuge, die kenne ich von den Freunden meiner Mutter.
Mutter Karo: Die ganzen verschiedenen Sachen, gerade aus Stahl .. Und was es an neuen Spielzeugen wie Peitschen gibt … Und die Bondage-Shows sind auch super, für einen Shibari-Fan wie mich. Und unter Leuten zu sein, die denken wie man selber. Wenn man auf einer normalen Erotikmesse Interesse an SM-Artikeln hat, wird man gerne mal von anderen Besuchern komisch angesehen.
Karo, das wie vielte Mal bist du auf der Boundcon?
Erst das vierte Mal, aber hier in München bin ich noch nicht lange in der Szene unterwegs – ich war vorher viel in Nordafrika und da dann auch in der Szene. Die ist mir der hiesigen nicht vergleichbar, dort ist es unglaublich schwer, einfach nur anders zu sein. Abnorme Sexualität findet da nur im Geheimen statt, es gab damals noch die Todesstrafe für Homosexualität.
Ich war mit Afrikanern befreundet und habe mich dort ausleben können; mein Spielpartner wurde dann bei einer Revolte im Zuge der Jasmin-Revolution erschossen, das war hart für mich. Irgendwann wollte ich dann doch auch hier Kontakte knüpfen und bin übers Netz zu den diversen Treffen in München gekommen.
Wow, das ist eine spannende Biografie . . . Könnt ihr uns eine Buch- oder Filmempfehlung geben?
Mutter Karo:Ich habe ja eine total romantische Ader ... am liebsten ist mir die Federzirkel-Reihe von Linda Mignani: SM-ige, spannende Story und Romanze und viel Autobiographisches. „Safeword“ von Nala Martin finde ich auch gut.
Tochter Anne: . . . Film, da haben wir zusammen „Shades of Grey“ gesehen!
Mutter Karo: Ja, da gab es reichlich Diskussion unter den Frauen am Stammtisch! Uns beiden hat er gefallen, aber bei Mr. Grey sind wir uneins. Das ist wohl eine Generationenfrage. „Belle de Jour“ von Luis Buñuel mit einer tollen Catherine Deneuve! Der ist sehr zeitlos.
Karo, wenn du dir deine Sexualität aussuchen könntest, aus welcher Palette würdest du wählen?
Hmm, eigentlich … genau so wie es ist. Wenn man sich ausleben kann, ist alles gut!
Interessant. Würde es anders nicht viel einfacher sein – ohne Spielpartnern und Co?
Mutter Karo:Das wäre freilich schon ein großer Traum, alles in einer Beziehung pflegen zu können, wir haben da ja auch Freunde, die verheiratet sind und bei denen alles zusammen wunderbar klappt. Bei meinem Mann bin ich mir nicht sicher, wie er da auf totale Offenheit meinerseits reagieren würde. Er ahnt ja was, aber er fragt nie nach!
Tochter Anne: Ich finde es nicht schlimm - sehr praktisch sogar, ich kann mit meinem Vater über alles sprechen, rede aber mit dem Spielpartner meiner Mutter über vieles anderes; zwei Bezugspersonen ergänzen sich einfach.
Wo seht ihr euch in fünf Jahren? Geht ihr immer noch zusammen auf die Boundcon?
Beide zusammen: Ja, schon, warum nicht...!
Tochter Anne: Wir schauen uns bis dahin noch vieles andere an und dann sprechen wir uns wieder!
Die Namen unserer Interviewpartner haben wir geändert..