Michael spricht über seinen Werdegang, die Szene und was man bessert un und lassen sollte.
Wer bist du und was machst du?
Ich bin Michael von baumwollseil und ich mache diesen Wahnsinn hier ;-). Ich war früher was „Normales“, ich war Bilanzbuchhalter und das war sehr langweilig. Ich habe mich gefragt, warum ich das eigentlich mache.
Ich habe mit Bondage angefangen, da war ich 7 oder 8 Jahre alt, meine damalige Freundin hat sich zum Glück dafür interessiert, aber wir haben nicht normal gefesselt, sondern Ganzkörper-Folienbondages macht. Wir hatten nämlich eine Schuhfabrik, da war viel Verpackungsmaterial übrig. So zwischen 8 und 12 Jahren habe ich bestimmt 900 Folienbondages gemacht. Ich bin also damit aufgewachsen und es gehörte mein Leben lang dazu.
Mit 16 oder 17 Jahren sagte mir dann jemand, dass man beim Sex die Frau nicht ans Bett fesselt. Und ich fragte mich, warum, weil Sex ohne Fesseln ist ja wie Butter ohne Brot. Da war der Punkt erreicht, an dem ich verstanden habe, dass andere Leute halt pervers sind ;-). Es gehörte also immer irgendwie dazu.
Irgendwann wollte ich meinen Job nicht mehr machen und eines meiner Mädels meinte, dass es nebenher schon die ganze Zeit einen Shop für Seile hätte. Sie sagte, ich soll den doch Vollzeit machen. Ich hab dann hin und her überlegt und mich für den Job hier entschieden. Dann ging es so los und mittlerweile haben wir acht Leute auf der Lohnliste. Das ist schon heftig.
Seid ihr mittlerweile eine Institution hier?
Wir sind seit der ersten Boundcon dabei, ja. Ich muss allerdings zugeben: Wir kommen auf die Boundcon mehr, um unser Gesicht zu zeigen, als für das, was es letztendlich bringt. Es gibt Tage, an denen wir im Online-Shop mehr Umsatz machen, als wir heute auf der Boundcon gemacht haben. Das wäre früher undenkbar gewesen, ist aber heute so, dass die Boundcon eher etwas für die Werbung ist.
Das ist interessant, weil viele wenig wissen, wie so ein Geschäft funktioniert. Alle sind halt froh, dass es das gibt.
Falls dich das interessiert: Wir haben zum Beispiel 150 Lieferanten, weil wir versuchen, ein breites Spektrum anzubieten. Wir haben Lieferanten, von denen wir einen einzigen Artikel haben, d.h. man muss mit dem Nachbestellen immer sehr vorsichtig jonglieren. Es ist allgemein viel Arbeit mit dem Nachbestellen – wenn wir eine Woche Urlaub im Jahr haben, sind wir froh – und leider brechen uns deutsche Hersteller schneller weg als wir neue finden.
Wenn du dir deinen Job aussuchen könntest, würdest du dann auch Baumwollseil machen?
Gehen wir mal eine Woche zurück: Du bist eines der Mädels, das für mich arbeitet, und ich gehe zu dir. Ich halte dir ein rosa Wackelteil vor die Nase und sage: „Du, willst du dir dieses Teil heute Abend zu Hause nicht irgendwo hinstecken, wo die Sonne nicht scheint, und mir morgen genug darüber sagen, dass ich einen vernünftigen Beitrag für die Website darüber schreiben kann?“ Bei uns ist das normal. Was möchte ich in einer anderen Firma?
Wenn dein Kind sich outen würde, was würdest du sagen?
Als unser Sohn vor zwei Wochen ankam und meinte „Wenn ich was bei euch kaufe, gibt’s da sowas wie Familienrabatt …?“, da war ich sehr vorsichtig, mit dem, was ich gesagt habe. Ich sagte ihm, dass er gern 20% bekommt, wie die Angestellten auch. Und dann war ich sehr friedlich und zurückhaltend, weil ich ihn nicht verscheuchen wollte.
Was war eine der bemerkenswertesten Reaktionen, die du für ein Outing kassiert hast?
Da ich im Prinzip offen damit lebe, musste ich mich nie outen. Dadurch, dass ich mit 7 oder 8 angefangen habe, gehört es einfach dazu. Ich habe es nie gegenüber irgendeinem Arbeitgeber zurückgehalten und immer offen damit gelebt. Ich habe damit auch immer nur positive Erfahrungen gemacht und ich hätte nicht damit leben können, es zu verheimlichen.
Wenn du jungen Leuten, die gerade erst ihre ersten Schritte im BDSM gehen, einen Tipp geben könntest, welcher wäre das?
… Oh Gott. … Benutze kein Internet. In manchen Foren stehen Sachen, bei denen einem die Haare zu Berge stehen. Manchmal rufen mich Leute an und erzählen mir, was sie gemacht haben, weil sie es irgendwo gelesen haben. Sucht euch für Fragen Leute in eurem Alter, denen ihr vertraut.
Wenn du dich oder dein Szeneleben mit einem Wort beschreiben müsstest, welches wäre das?
Zu viel Arbeit, zu wenig Zeit.
Dann passt die nächste Frage ja gut: Wenn du mehr Zeit hättest, wofür hättest du gern mehr Zeit?
Ich würde gern mehr Zeit zum Spielen haben. Definitiv…und ich würde auch dafür sterben, dass ich wieder Zeit hätte, in einer Rollenspielrunde an einem Tisch zu sitzen und ein Rollenspiel zu mastern.
Was ist für dich das stärkste BDSM-Symbol und warum?
Ich kann mit Symbolen leider gar nichts anfangen und habe keinen Bezug dazu.
Was sollte es in der Welt oder im Leben mehr geben?
Spaß. Wir haben alle zu wenig Spaß. Wenn ich wirklich nicht mehr kann, nehme ich die Hunde, gehe in den Wald und schau ihnen zu, wie sie an etwas riechen und mit dem Schwanz wedeln und du weißt einfach „Hey, jeder Käfer, jeder Baum ist lustig“. Wenn drei Hunde durch den Wald tollen, kannst du keine schlechte Laune mehr haben. Sei selbstständig, dann kannst du mit den Hunden dann in den Wald, wann du möchtest.
Was gehört für dich zu einem gelungenen Spielabend dazu? Genügend Zeit vorausgesetzt.
Wenn mein Mädel hinterher glücklich ist, ist alles cool.
Was würdest du jungen Leuten, die auf der Homepage von JungeSMünchen sind, noch mitgeben?
In den Moment, in dem du einen Partner findest, mit dem du spielen kannst, solltest du versuchen, dir klar zu machen, was das für ein Glück ist. (Ich geh jetzt mal vom Mann aus.)
Wir Männer sind nicht die tollsten Kreaturen – wir sehen nicht so toll aus wie Frauen, wir können froh sein, wenn uns jemand trotzdem liebt, trotz all unserer Fehler. Wenn dann jemand da ist, dann sollte man auf ihn einfach mehr acht geben.
Die tollen Mädels wachsen nicht auf Bäumen. Kümmer dich um die, die da ist, und sei nett zu ihr.
Michael, wir danken dir für das Gespräch